Ein Entwässerungsstollen soll verhindern, dass das von einem Erdrutsch knapp verschonte Dorf Brienz (GR) weiter talwärts rutscht. Das Projekt stellt eine Herausforderung für Spezialisten dar.
„Der Stollen muss die Bewegung des Gesteins unterhalb der Stadt und auch die des Berges darüber stoppen“, erklärte der Geologe Reto Thöny am Freitag an einer Pressekonferenz in Brienz. Es gebe kein so komplexes Entwässerungsprojekt auf der Welt, sagte er.
„Wir sind zuversichtlich, dass der Rutsch vollständig aufhört“, sagte Daniel Albertin, Präsident der Gemeinde Albula/Alvra, zu der auch Brienz gehört. Ziel ist es, dass die Stadt bewohnbar bleibt.
Instabile Gesteinsschicht unterhalb der Stadt
Auf dem Berg sind noch etwa 70 Millionen Kubikmeter Gestein in Bewegung, was dem Volumen von etwa 70.000 einzelnen Häusern entspricht. Die Stadt ruht auf einer instabilen Felsschicht von 150 Metern Dicke, die mit einer Geschwindigkeit von bis zu 1,6 m pro Jahr abrutscht. Experten versuchen, beide Talfahrten zu stoppen. Gelingt dies nicht, wird die Stadt auf Dauer nicht lebenswert sein.
Experten gehen davon aus, dass der erhöhte Wasserdruck im Keller des Dorfes die Hauptursache für den Erdrutsch ist. Dieses Wasser befindet sich jedoch sowohl in der instabilen Gesteinsschicht als auch im stabilen Gestein darunter. Geologen wollen diese beiden Schichten entwässern.
In den instabilen Fels wurde bereits ein 650 Meter langer Schacht gegraben, der in Breite und Höhe einem einspurigen Straßentunnel entspricht. Es wurden lange Entwässerungsbrunnen gebohrt.
Erste ermutigende Ergebnisse
Die ersten Ergebnisse seien ermutigend, sagt Reto Thöny. Die Tiefenentwässerung hat die Erdrutschgeschwindigkeit der Stadt halbiert. Auch der Abrutsch vom Berg hat sich verlangsamt. Weitere Bohrungen sind im Gange.
Die Ergebnisse der ersten Versuche sind so vielversprechend, dass bereits beschlossen wurde, den Teststollen auf eine Gesamtentwässerungslänge von 2,3 Kilometern zu erweitern. Anschließend werden mehr als 100 Entwässerungsbrunnen gebohrt.
Die Arbeiten, die im März 2024 beginnen, werden 40 Millionen Franken kosten. Der Kanton Graubünden und der Bund tragen jeweils 45 % der Kosten. Den Rest (10 %) teilen sich die „Begünstigten“, nämlich die Rhätische Bahn, das Hochbauamt Graubünden, Swissgrid und die Gemeinde Albula/Alvra.
Fünf oder fünfzehn Generationen
Die Gemeindeversammlung hat die notwendigen Kredite bereits genehmigt. „Wir arbeiten für die Zukunft von Brienz“, sagt Christian Gartmann, Mitglied der Gemeindeleitung. „Wenn es uns gelingt, den Zusammenbruch ausreichend zu stoppen, könnte die Stadt auch in fünf oder fünfzehn Generationen noch bewohnt sein.“
Die 84 Einwohner von Brienz wurden am 12. Mai evakuiert. Zwei Millionen Kubikmeter Fels, das Volumen von rund 2.000 einzelnen Häusern, drohten über der Stadt einzustürzen.
In der Nacht des 16. Juni fielen 1,2 Millionen Kubikmeter Gestein vom Berg. Kurz vor der Stadt hörte die Masse aus Felsen und Steinen auf. Die Bewohner konnten Anfang Juli, 52 Tage nach der Evakuierung und 18 Tage nach dem Erdrutsch, in ihre Häuser zurückkehren.
/ATS
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